Sparzwang und Solidarität: OB ruft Rat zu Schulterschluss auf
Der Gemeinderat ist am 10. und 11. Oktober mit der Stadtverwaltung zu einer zweitägigen Klausurtagung zusammengekommen. Großes Thema: Wie kann der in Schieflage geratene Haushalt der Stadt wieder auf eine solide Basis gestellt werden?
Herr Oberbürgermeister Ruppaner, wie steht es um die Finanzen der Stadt?
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach Jahren sehr guter Einnahmen – vor allem dank unserer wirtschaftsstarken Unternehmen – bekommen wir nun die aktuellen Herausforderungen deutlich zu spüren. Die Welt ist im Wandel: Alte Gewissheiten mit billiger Energie aus Russland, Sicherheit aus Amerika und Absatzmärkten in Asien sind keine Selbstverständlichkeiten mehr.
Dazu kommen die eigenen deutschen Herausforderungen mit zu viel Bürokratie, hohen Energiepreisen und weiteren Standortnachteilen. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, auf die wir kaum Einfluss haben – etwa durch gesetzliche Vorgaben von Bund und Land. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Wir haben uns in Leinfelden-Echterdingen in den letzten Jahren viel geleistet. Jetzt müssen wir prüfen, was wir dauerhaft finanzieren können.
Woher kommt das Defizit genau?
Wir haben ein strukturelles Problem. Bund und Land übertragen uns immer mehr Aufgaben – ohne die nötige Finanzierung dafür bereitzustellen. Das betrifft etwa die Ganztagsbetreuung in Schulen und Kitas, die Flüchtlingsunterbringung oder den Klimaschutz. All das sind wichtige Aufgaben, aber sie kosten Geld.

Seit 2015 haben sich unsere Personalausgaben verdoppelt. Das liegt nicht an übertriebener Verwaltung, sondern an der Fülle neuer komplexer Vorschriften, Förderprogrammen und Berichtspflichten. Jede neue Regelung und Aufgabe bedeutet auch für die Stadt: mehr Arbeit, mehr Personal, mehr Kosten.
Oft ist von Umlagen die Rede – was bedeutet das konkret?
Das ist ein wichtiger Punkt. Jede Kommune muss über die sogenannte Kreisumlage Geld an den Landkreis überweisen – für Sozialleistungen, ÖPNV oder Krankenhäuser. 2024 waren das für LE rund 25 Millionen Euro, 2025 werden es wohl schon 36 Millionen sein. Bis 2029 könnten es über 40 Millionen werden, die wir bezahlen müssen. Die Dynamik – gerade bei den Sozialausgaben – kennt leider nur eine Richtung. Wenn man alle Umlagen zusammennimmt, fließt fast jeder zweite Euro, den wir einnehmen, automatisch wieder an andere Ebenen des Staates.

Persönlich liegt mir viel daran, dass wir uns ein soziales Miteinander ermöglichen. Allerdings ist die Summe an Leistungsversprechen nicht auskömmlich finanziert und die Rechnungen für diese Wohltaten landen zuverlässig bei den Kommunen. Dieses Maß an staatlicher Übergriffigkeit gegenüber den Kommunen schränkt nun unseren Gestaltungsspielraum massiv ein und zwingt uns dazu viele freiwillige Aufgaben, die Städte und Gemeinden für ihre Bürgerinnen und Bürger erbringen, in Frage zu stellen.
Worum ging es bei der Klausurtagung konkret?
Der Gemeinderat legt fest, wohin sich die Stadt entwickelt – und dafür braucht es finanzielle Klarheit. Wir haben das Gremium ausführlich über die aktuelle Lage informiert und gemeinsam beraten, wie wir unseren Haushalt stabilisieren können.

Wichtig war mir, dass wir offen sprechen: Wo können wir sparen, ohne das Wesen unserer Stadt zu gefährden? Wo können wir Einnahmen verbessern, ohne die Bürgerinnen und Bürger übermäßig zu belasten? Und wo müssen wir vielleicht auch Projekte neu denken oder über einen längeren Zeitraum strecken?
Gab es bereits konkrete Ergebnisse?
Ja. Wir konnten im Ergebnishaushalt bereits rund fünf Millionen Euro einsparen – durch Verschiebungen, geänderte Rahmenbedingungen und eine Straffung aller Ausgaben. Zudem prüfen wir Grundstücksverkäufe, die kurzfristig rund elf Millionen Euro bringen könnten. Langfristig steckt weiteres Potenzial in unseren Investitionen. Hier sprechen wir von möglichen Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich, wenn Projekte angepasst oder zeitlich gestreckt werden. Beim Personal haben wir noch keine endgültigen Entscheidungen, aber das Thema steht weiter auf der Agenda. Entscheidend hierfür ist und bleibt ein zentraler Rathausstandort, da mit einer ineffizienten Struktur wie wir sie heute haben, mit mehr als zehn Verwaltungsstandorten, kaum Synergien gehoben werden können. Auch hierüber war man sich in der Klausur einig.
Was sind die nächsten Schritte?

Der Gemeinderat wird in seiner Sitzung im Herbst über den Nachtragshaushalt für 2026 entscheiden. Wenn die Maßnahmen, über die wir uns in der Klausur grundsätzlich einig waren, umgesetzt werden, entlastet das den Haushalt um rund 17 Millionen Euro in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2030.
Im Frühjahr 2026 wollen wir dann über die nächsten Schritte beraten. Dabei handelt es sich konkret um eine dezidierte Aufgaben- und Leistungskritik der Stadt. Hierzu haben wir mit dem Gemeinderat ein konkretes Arbeitspaket verabredet, das es nun bis Mai 2026 von der Verwaltung auszuarbeiten gilt, damit auf dieser Grundlage der Gemeinderat seine weiteren Entscheidungen treffen kann.
Kann die Stadt mit diesen Schritten ihre Finanzprobleme lösen?
Nicht vollständig. Die Probleme vieler Kommunen sind wie eingangs dargestellt strukturell – sie können nur durch Bund und Land gelöst werden. Wenn Aufgaben übertragen werden, muss auch die Finanzierung für diese Aufgaben folgen. Sonst bleiben die Städte dauerhaft in Schieflage. Die nun geplante aber mit Schulden finanzierte Unterstützung des Bundes hilft zwar, aber sie reicht bei weitem nicht aus. Für Leinfelden-Echterdingen bedeutet sie über zwölf Jahre etwa 2,6 Millionen pro Jahr. Das hilft zwar etwas, ersetzt aber keine verlässliche finanzielle Struktur für die Kommunen.
Was passiert, wenn die Stadt nicht genug spart?
Dann drohen Auflagen vom Regierungspräsidium. Das bedeutet: Wir dürften bestimmte Investitionen oder Kreditaufnahmen nur noch mit Genehmigung tätigen – im schlimmsten Fall sogar gar nicht mehr. Dieses Szenario wollen wir unbedingt vermeiden. Wir müssen handlungsfähig bleiben – für unsere Bürgerinnen und Bürger.
Was bedeutet das für die Menschen in LE konkret?

Die Pflichtaufgaben – also das, was der Staat uns vorgibt – müssen wir erfüllen: Kinderbetreuung, Schulen, Feuerwehr, Verwaltung. Darüber hinaus gibt es viele wichtige freiwillige Leistungen, die unser Leben in LE besonders machen: Kulturangebote, Unterstützungsleistungen oder auch Freizeitangebote. Der Gemeinderat wird prüfen müssen, was davon weiterhin und mit welchem Standard finanzierbar ist – und wo eventuell Abstriche gemacht werden müssen. Ziel ist, das Wesentliche zu erhalten: die hohe Lebensqualität, die unsere Stadt ausmacht.
Und wie geht es mit den geplanten Investitionen weiter?
Einige Projekte werden wir strecken oder anpassen müssen. Wir werden weiterhin in Schulen, Kitas und Straßen investieren – aber mit Maß. Wichtig ist, dass wir Prioritäten setzen. Nicht jedes Projekt kann sofort umgesetzt werden. Wir haben uns in LE lange einen sehr hohen Standard leisten können. Das war gut und richtig, aber nun haben sich die Vorzeichen geändert und wir müssen bewusster mit unseren Mitteln umgehen als früher.
Wie blicken Sie persönlich in die Zukunft?
Mit Zuversicht. Max Frisch hat einmal gesagt: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ So sehe ich das auch. Wir haben die Herausforderungen klar benannt, wir haben einen Plan – und wir packen es gemeinsam an. Leinfelden-Echterdingen hat schon oft bewiesen, dass wir zusammenstehen, wenn es schwierig wird. Wenn jeder an seiner Stelle das ihm oder ihr Mögliche tut, habe ich allen Grund optimistisch zu sein. Es liegt in uns und wirkt durch uns. Verwaltung, Gemeinderat und Bürgerschaft – wir alle ziehen an einem Strang. Deshalb bin ich sicher: Wir werden diese Phase meistern.


